Breakdance in der DDR

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© Archiv Bürgerbewegung Leipzig / Mahmoud Dabdoub Foto 029-027-049

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"Cause the age of the Beat Street wave is here, in Leipzig 1985 – Say Ho!" – nach GRANDMASTER MELLE MEL, Beat Street

Breakdance in der DDR

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Wenn es in deiner Schule einen Kurs für "akrobatischen Schow-Tanz" gäbe – wärst du dabei? Zugegeben, der Begriff klingt nicht wirklich allzu spannend, aber dahinter verbirgt sich etwas, das in der DDR der 1980er Jahre zahlreiche Jugendliche faszinierte und den Staat verwirrte – der Breakdance. In den 1980er Jahren wurde Breakdance zu einer weltweiten Jugendbewegung, die auch in der DDR ihre Anhänger:innen fand. Junge Menschen in der DDR waren von den tänzerischen Fähigkeiten, dem Rhythmus und der Ausdrucksstärke des Breakdance begeistert.

1. Was ist Breakdance?

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Breakdance ist eine Tanzform, welche Jugendliche in den 1970er Jahren in New York, als Teil der HipHop-Bewegung entwickelten. Dabei wird zu Pop, Funk und HipHop getanzt. Der Tanzstil selbst ist sehr akrobatisch, er erfordert ein hohes Maß an Körperbeherrschung und Übung, sieht dann aber extrem beeindruckend aus. Ähnlich den HipHop-Battles wird Breakdance auch gerne als Konkurrenz oder Wettkampf ausgetragen, in dem zwei Tänzer:innen oder Teams vor Publikum gegeneinander antreten. Die damals noch neue Tanzform und ihr Wettkampfcharakter wurde von den US-amerikanischen Jugendlichen auch als Alternative zur Gewalt der Straßengangs betrachtet.

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Breakdance Battle - Chelles Battle Pro 2014  Final
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Französischer Breakdance-Battle von 2014
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Breakdance besteht aus verschiedenen miteinander kombinierten Moves. Ein paar Beispiele für solche Moves siehst du hier:

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2-step 6-step kick-up/kip-up worm robot airflare
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Urheber: VincaniTV

https://en.wikipedia.org/wiki/2-step_(breakdance_move)

Cc3BYSA
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Urheber: Neil Sweeney

https://en.wikipedia.org/wiki/File:6-step_example.webm

Cc3BYSA
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Urheber: VincaniTV

https://en.wikipedia.org/wiki/File:Kick-up.webm

Cc3BYSA
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Urheber: Agregory

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Man_performs_the_worm_gif.gif

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Urheber: https://en.wikipedia.org/wiki/File:Robotdance_-Japan-2016_11_5.webm

Nesnad

Cc4BYSA
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Urheber: B2frison

https://en.wikipedia.org/wiki/File:Airflare.webm

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2-step 6-step kick-up/kip-up worm robot airflare
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Aufgabe

Tanz oder Akrobatik?

  1. Versuche selber, einen 2-step zu schaffen.
  2. Beschreibe in eigenen Worten das Besondere des Breakdance. Wodurch unterscheidet er sich von den meisten anderen Tanzstilen wie Tango, Walzer oder Salsa?

2. Ein Trend kommt nach Deutschland

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Neue Tanzstile und -trends verbreiten sich heute mittels YouTube, TikTok oder Instagram in Windeseile weltweit. Doch das alles gab es in den 1980er Jahren noch nicht. Wie also bekamen die Jugendlichen in der DDR überhaupt mit, was auf den Straßen von New York getanzt wurde? Sehr wichtig war in diesem Zusammenhang sicher der US-amerikanische Film "Beat Street", der 1985 in den DDR-Kinos lief. Aber auch im westdeutschen Fernsehen, das ja viele DDR-Bürger:innen empfangen und sehen konnten, fand Mitte der 1980er Jahren der neue Trend aus den USA statt.

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Film und Fernsehen In der Disko
Breakdance in der DDR
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Film und Fernsehen In der Disko
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Aufgabe

Wie geht das überhaupt

  1. Stell dir vor, du siehst in der DDR im Jahr 1985 "Beatstreet" im Kino und beschließt danach, Breakdancer:in zu werden. Überlege, welche Möglichkeiten für dich existieren, um diese komplizierten Bewegungsabläufe zu erlernen. Sammle hierzu Ideen in einer kurzen Liste.
  2. Vergleiche die Situation damals mit heute. Welche Möglichkeiten stehen einem Menschen, der heute beschließt, Breakdancer:in zu werden zur Verfügung? 

3. Coole Crews und Tanzgruppen: Gemeinsam tanzen macht Spaß

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Trotz der staatlichen Reglementierung entwickelte sich eine vitale Breakdance-Szene. Jugendliche organisierten sich in Gruppen und trafen sich, um gemeinsam zu tanzen und zu üben.

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© Archiv Bürgerbewegung Leipzig / Mahmoud Dabdoub Foto 029-027-050

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In der DDR gab es immer auch junge Leute, die Neues ausprobieren wollten und sich nicht an die gewünschten staatlichen Normen hielten.

Breakdancer in der Leipziger Mädler-Passage (1985)
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© Archiv Bürgerbewegung Leipzig / Mahmoud Dabdoub Foto 029-027-046

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Die Jugendkultur in der DDR orientierte sich an Musik und Mode der Jugendkulturen im Westen. Mit dem Film "Beat Street" kamen Mitte der 1980er Jahre Hip-Hop und Breakdance aus den USA auch in die DDR.

Breakdancer in der Leipziger Mädler-Passage (1985)
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© Archiv Bürgerbewegung Leipzig / Mahmoud Dabdoub Foto 029-027-046

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Jugendliche beim Breakdance vor der J. C. Hinrichs´schen Buchhandlung in der Mädler-Passage in Leipzig (1985).

Breakdancer in der Leipziger Mädler-Passage, 1985
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© Archiv Bürgerbewegung Leipzig / Mahmoud Dabdoub Foto 029-027-049

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Der Palästinenser Mahmoud Dabdoub kam 1981 in die DDR, studierte Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig (HGB) und wurde zum Chronisten des DDR-Alltags in den 1980er Jahren.

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Hahnys Break Crew (Skyliners) @ 6.  Leipziger Break Dance Workshop
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Schlechte Aufnahmequalität, aber ein echtes filmisches Zeitzeugnis: HAHNYS BREAK CREW beim 6. Leipziger Breakdance Workshop, 1988
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Aufgabe

Breakdancer-Style

  1. Vergleiche das Video oben in Element 12 mit dem französischen Breakdance-Battle in Element 3!
  2. Glaubst du, HAHNYS BREAK CREW hätte bei dem französischen Event 2014 eine Chance gehabt? Begründe deine Meinung.

4. Zwischen Misstrauen und Vereinnahmung

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Die DDR-Regierung sah die wachsende Beliebtheit von Breakdance mit Argwohn und misstraute der Jugendkultur. Sie befürchtete, dass die Bewegung die Jugendlichen politisch beeinflussen und zu einem Ausdruck von Protest werden könnte. Aus diesem Grund wurden Breakdance-Auftritte von staatlichen Stellen anfänglich kontrolliert und reglementiert, da die SED – zumindest anfangs – Breakdance als eine Bedrohung der sozialistischen Grundwerte betrachtete. Anfangs führte die Volkspolizei regelmäßig die jugendlichen Tänzer:innen zum Verhör ab. Später wurde durch den staatlichen Deutschen Turn- und Sportbund der DDR (DTSB) versucht, die Fun-Sportart für seine Zwecke zu vereinnahmen.

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© Bundesarchiv, Stasi-Unterlagenarchiv, Außenstelle Leipzig, MfS BV Lpz KD Lpz Stadt Nr. 03911

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Ein Aktenauszug des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS / "Stasi") mit einem Bericht über die Leipziger Breakdance-Gruppe aus der Mädlerpassage, 1984

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© Bundesarchiv, Stasi-Unterlagenarchiv, Außenstelle Leipzig, MfS BV Ddn KD Riesa Nr. 13114

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MfS-Aktenauszug: Die entstehende DDR-Breakdance-Szene, hier in Riesa, im Blickpunkt der Überwachung durch den Staat, 1984

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© Bundesarchiv, Stasi-Unterlagenarchiv, Außenstelle Leipzig, MfS BV Ddn KD Riesa Nr. 13114

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Wenn staatliche Stellen versuchen, eine Jugendkultur zu beschreiben ...

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Satz 1 Satz 2 Satz 3 Satz 4
Satz 1 Satz 2 Satz 3 Satz 4
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Andererseits war die DDR ja auch nach ihrem eigenen Anspruch eine "Sportnation" und hatte ein großes Interesse an den Aktivitäten "ihrer" Jugend. Ein neuer und zudem eher unpolitischer Trend wie der Breakdance bot da natürlich auch Möglichkeiten für den Staat. So wurde durch den staatlichen Deutschen Turn- und Sportbund der DDR (DTSB) versucht, die Fun-Sportart für seine Zwecke zu vereinnahmen.

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© Archiv Bürgerbewegung Leipzig / Bernd Heinze Foto 006-035-242

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VIII. Turn- und Sportfest der DDR in Leipzig, 27. Juli bis 2. August 1987: Auftritt der BIG CITY BREAKERS

VIII. [Achtes] Turn- und Sportfest der DDR in Leipzig, 27. Juli bis 2. August 1987: Auftritt der
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© Archiv Bürgerbewegung Leipzig / Bernd Heinze Foto 006-035-243

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Das Turn - und Sportfest der DDR fand von 1954 bis 1987 insgesamt achtmal in Leipzig statt. Die Hauptveranstaltungen des Festes waren eine als Propagandaveranstaltung aufgezogene Sportschau, oft ein Fußball-Länderspiel, eine DDR-Spartakiade, eine internationale Leichtathletik-Veranstaltung sowie eine Abschlussveranstaltung.

VIII. [Achtes] Turn- und Sportfest der DDR in Leipzig, 27. Juli bis 2. August 1987: Auftritt der
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© Archiv Bürgerbewegung Leipzig / Bernd Heinze Foto 006-035-244

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In diesem Kontext erhielt Breakdance eine neue Dimension. Die talentierten Breakdancer wurden auf die Bühne des Turn- und Sportfestes geholt, um ihre Fähigkeiten und ihre Hingabe zu präsentieren. Dies diente auch dazu, die Jugendlichen im Land zu inspirieren und zu mobilisieren, die sozialistische Ideologie zu unterstützen und den Glauben an den "sozialistischen Sportgeist" zu stärken.

Auf diesem Foto ist die Visitenkarte der Gruppe
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© Archiv Gerald Claus

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Hier siehst du die Visitenkarte der Gruppe BREAK COLLECTION aus Leipzig. Anfangs wurden Breakdancer wie sie argwöhnisch beobachtet. Später jedoch wurden sie für ihre herausragenden Leistungen geehrt.

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© Archiv Gerald Claus

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"Break Collection" wurde mit der Ehrenurkunde für besondere Verdienste in der "Initiative der Volkskunstschaffenden zum XI. Parteitag der SED" ausgezeichnet. Dies verdeutlicht die anfängliche Skepsis gegenüber Breakdance und die spätere politische Vereinnahmung dieser Kunstform in der DDR.

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© Bundesarchiv, Stasi-Unterlagenarchiv, Außenstelle Leipzig, MfS BV Lpz Abt XIX Nr. 01170

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Breakdance im Wandel der Zeit: Das Freistellungsgesuch für den Europa-Cup in Ungarn im Jahr 1989.

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© Bundesarchiv, Stasi-Unterlagenarchiv, Außenstelle Leipzig, MfS BV Lpz Abt XIX Nr. 01170

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Freie Fahrt für Breakdance: Einwilligung zur Teilnahme am Europa-Cup 1989 ohne Einwände.

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Aufgabe

Staatlicher Breakdance?

  1. Sieh dir die Bilder in der Galerie oben an und finde Elemente, an denen man erkennen kann, dass es sich hier um eine organisierte Veranstaltung und kein spontanes Breakdancing handelt. Anders gefragt: Worin unterschieden sich die Breakdancer oben von denen in der Leipziger Mädler-Passage (Element 11)?
  2. Stell dir vor, du bist Breakdancer:in in der DDR und erhältst die staatliche Einladung, beim VIII. Turn- und Sportfest der DDR in Leipzig aufzutreten. Würdest du die Einladung annehmen? Begründe deine Antwort mit den Vor- bzw. Nachteilen, die ein solcher Auftritt für dich haben könnte.

5. Herausforderung und Kreativität

Im Kontext von Breakdance in der DDR wurden Herausforderung und Kreativität auf bemerkenswerte Weise miteinander verknüpft. Die Jugendlichen, die sich für diese Jugendkultur begeisterten, sahen sich mit zahlreichen Hindernissen konfrontiert, um dem westlichen Vorbild gerecht zu werden. Hier einige Einblicke in die Welt des Breakdance in der DDR und die kreativen Lösungen, die gefunden wurden.

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Klau den Style Aber wie?
Was braucht ein echter Breakdancer der 1980er Jahre?
Klau den Style Aber wie?
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© Privatarchiv Heiko "Hahny" Hahnewald

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Ein einfacher DDR-Herrenhandschuh, durch kreative lila Färbung aufgewertet. In der Welt des Breakdance wurde er zum stylishen Accessoire, das westliche Trends nachahmte.

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© Privatarchiv Heiko "Hahny" Hahnewald

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Ganz normale Kleidung wird zum einzigartigen Style! Der Tänzer rechts verleiht einer gewöhnlichen Windjacke mit dem Schriftzug BDC (BREAK DANCE COOPERATION) auf Brust und Ärmel das gewisse Etwas. Kreativität trifft auf Street Style.

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© Archiv Bürgerbewegung Leipzig / Karin Wieckhorst Foto 035-018-013

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Ein Sweatshirt wird zur Leinwand! Der Tänzer verleiht mit einem großartigen selbstgemalten "Breakdance"-Schriftzug im Graffiti-Style auf der Brust seinem Outfit Individualität und Street Cred.

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© Archiv Bürgerbewegung Leipzig / Bernd Heinze Foto 006-035-242

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Selbstgemachte Styles der BIG CITY BREAKERS! Mit viel Kreativität und dem nötigen Stoff ausgestattet, nähten sich die Breakdancer ihre individuellen Jogginganzüge. Oft übernahmen Mütter und Großmütter die Nähkünste, inspiriert von Vorlagen aus dem Westen.

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Gucci & Rap: das Geschäft mit Fake-Klamotten | STRG_F
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Ausschnitt aus einer Doku über gefälschte Markenklamotten heute
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Aufgabe

Umgang mit Mangel

  1. Fake-Markenklamotten und DDR-Do it Yourself (DIY) – beides entsteht aus einer Situation, in der ein Wunsch nach bestimmten Klamotten auf einen Mangel trifft. Welche Art von Mangel ist/war das? Vergleiche die Situation in der DDR der 1980er mit der Situation heute. 
  2. Warum wird heute auf den Mangel nicht mehr oder kaum noch mit DIY reagiert? Diskutiert diese Frage gemeinsam.

6. Heiko "Hahny" Hahnewald – seit 40 Jahren Breakdancer

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Heiko "Hahny" Hahnewald, zweifacher DDR-Meister im Breakdance, ist ein kultiger Typ aus Meißen, der die HipHop-Welt in der DDR auf den Kopf gestellt hat. Hier ein kleiner Überblick über sein aufregendes Leben und seine Karriere:

  • Schon als Kind war Heiko von Artistik fasziniert. Sein Interesse an der Bewegungskunst führte ihn zum "Artistenzentrum" in Meißen, wo er seine Leidenschaft fürs Tanzen entwickelte. Obwohl er zunächst auch sehr gerne Fußball spielte, blieb seine Verbindung zur HipHop-Kultur bestehen. In den 1980er Jahren entwickelte er gemeinsam mit Gleichgesinnten einen einzigartigen Tanzstil, der die DDR-Öffentlichkeit faszinierte.
  • Der Film "Beat Street" war 1985 ein großer Wendepunkt in Heikos Karriere. Er und seine HAHNYS BREAK CREW wurden von diesem Film inspiriert und wurden zu Pionieren des Breakdance in Europa. Sie trugen selbst gestaltete Anoraks und Schriftzüge im Stil des Films und wurden zu Ikonen dieser Bewegung.
  • Die HAHNYS BREAK CREW tourte nicht nur in Meißen, sondern durch die gesamte DDR und brachte ihren "Street Dance" an ungewöhnliche Orte. Trotz der Herausforderungen in einer sozialistischen Gesellschaft wurden sie unterstützt und erhielten eine staatliche Lizenz, mit der sie in der DDR bis zu 270 Shows im Jahr auf die Bühne brachten.
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Aufgabe

  1. Wie hat Heiko Hahnewald seine Leidenschaft für das Tanzen und die Artistik bereits in seiner Kindheit entdeckt?
  2. Welche Herausforderungen mussten Heiko und seine "Hahnys Break Crew" in der DDR überwinden, um Breakdance zu praktizieren und bekannt zu werden?
  3. Welche Bedeutung hatte der Film "Beat Street" von 1985 für Heikos Karriere und die Entwicklung des Breakdance in der DDR?
  4. Wie hat Heiko seine Tanzgruppe "Hahnys Break Crew" geprägt und welche einzigartigen Merkmale hatten sie in der Welt des Breakdance?
  5. Wie haben Heiko und seine Crew es geschafft, trotz der politischen und sozialen Umstände in der DDR bis zu 270 Shows im Jahr aufzuführen und ihre Leidenschaft für den "Street Dance" zu leben?
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007 HEIKO HAHNEWALD @ STREET LEVEL #ZWEITAUSENDFÜNFZEHN.
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Hahny heute